Die Oste, der stille Fluß

Letztes

Update

07.02.2020

Aus der Zeit des Ersten Weltkrieges 1914 - 1918

Nacherzählt von Bernhard Gooßen, Jahrgang 1943

Vor drei Generationen war die Welt der Schauplatz des ersten Krieges, der sich auf sämtliche Kontinente erstreckte. Er wurde über annähernd fünf Jahre in Europa, dem Nahen Osten, Afrika und Ostasien geführt und forderte über neun Millionen Menschenleben.

Im Ersten Weltkrieg entluden sich die machtpolitischen Gegensätze der europäischen Großmächte, die zu einer enormen Aufrüstung geführt hatten. Zum Ende des Krieges befanden sich 25 Staaten und deren Kolonien, also drei Viertel der damaligen Erdbevölkerung, im Kriegszustand.

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Vor dem Weitertransport zu seiner Truppe schickt H. Dankers (hier mit Kammeraden
seiner Einheit) aus Segeberg im Juli 1915 einen Feldpost-Brief an Johann Gooßen in Bossel

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Segeberg, d. 3.7.15

Lieber Onkel und Tante!
Teile Euch mit, daß ich hier gut wieder angekommen bin. Montag sind 170 Mann abgereist nach Lübeck, auch 3 Mann von unserer Kompanie. Dienstag ... haben wir einen großen Marsch nach Lübeck, da gehen paar Tage mit hin. Einmal werden wir wohl mit der Bahn fahren.
Freundlich Grüße sendet

H. Dankers

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Dieser Weltkrieg war der erste vollständig industrialisierte Krieg, der mit massivem Materialeinsatz und mit Massenvernichtungswaffen geführt wurde und dadurch zu gewaltigen Material- und Blutschlachten eines bis dahin nicht gekannten Ausmaßes führte. Auch deswegen stellt sich der Erste Weltkrieg als ein Krieg dar, der an Grauen alles bis dahin Bekannte übertraf und dessen Auswirkungen bis heute noch spürbar sind.

Der Erste Weltkrieg begann als ein Balkankonflikt und endete als ein erbittertes Ringen auf Leben und Tod zwischen den mächtigsten und volkreichsten Staaten der Erde.
Wie alle Kriege brachte er unsägliches Leid nicht nur über die direkt beteiligten Soldaten, sondern auch für deren Familien, Verwandten, Freunde, Bekannten und damit über unsere gesamte Dorfgemeinschaft, in der jeder einzelne intensiv Anteil nahm an dem Schicksal eines jeden Mitbewohners.

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Auch wenn am Anfang des 20. Jahrhunderts die Nachrichtenübermittlung durch die Medien noch nicht sehr stark ausgeprägt war und mit der heutigen Medienlandschaft keineswegs vergleichbar ist, so spürten und erkannten die Menschen auch in Bossel, dass die damaligen politischen Ereignisse auf einen Krieg hinauslaufen würden.

Kaiser Wilhelm ruft die Bevölkerung
im April 1914 zur Kriegsvorbereitung auf.

In seinen handschriftlichen Aufzeichnungen in der
Schulchronik skizziert Lehrer Karl Schulz den Kriegsausbruch:

Lehrer Karl Schulz (hinten links) war von 1896 bis 1933
Lehrer im damaligen Borstel (seit 1934 Bossel)

Der verruchte Königsmord in Serajewo ließ jeden stillen Dorfbewohner ahnen, dass eine große Kriegsgefahr vorhanden war. Die Gewitterwolken am politischen Himmel hatten sich stark gehäuft. Wie deutlich fühlte jeder, dass die aufrichtigen Bemühungen unseres friedliebenden Kaisers und seiner Regierung wohl vergeblich sein würden. Viele hatten noch keine Ahnung von all dem Hass und Verrat, der das deutsche Volk und seinen verbündeten österreichischen Nachbarn umgab.
An einen Weltkrieg wollten und konnten viele noch nicht glauben. Aber durch den Mobilmachungsbefehl Sr. Majestät am 31. Juli 1914 sollte der schreckliche Krieg zur Gewissheit werden.

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Das sonst so stille und friedliche Dörfchen glich nun eher einem unruhigen Bienenschwarm, denn keiner hatte bei seiner Arbeit Ruhe, jeder wollte etwas hören von dem Verlauf der politischen Ereignisse; man wartete spannungsvoll auf Nachrichten durch die Post oder den Telegraphen, sowie durch Extrablätter und Zeitungen; einige eilten sogar zur Stadt, um noch etwas mehr und früher zu erfahren.

Die Anordnungen zur Mobilmachung wurden auf öffentlichen Plätzen in den Städten und Gemeinden verlesen und über Sonderausgaben der Zeitungen der Bevölkerung mitgeteilt.

Der Jubel und die Begeisterung in der deutschen Bevölkerung war groß, ebenso wie in den übrigen europäischen Ländern. Die meisten waren für den Krieg, jeder wollte dabei sein. Mahnende Stimmen verhallten meistens ungehört im aufwallenden Patriotismus. Keiner wollte zurückstehen in seinem vaterländischen Pflichtgefühl. Wer zurückblieb, galt als Feigling oder gar als Verräter.

Dementsprechend war auch die Einstellung der jungen Männer im Dorf Bossel zu ihrer Wehrpflicht. Viele von ihnen waren von dem anstehenden Kriegsdienst hochauf begeistert, einige allerdings auch eher blass und besorgt.

Peter Stelling als einsatzbereiter Soldat mit Marschgepäck. Im Zweiten Weltkrieg wurde er ebenfalls Soldat und war außerdem Ortsgruppenleiter der NSDAP.

In dem Gestellungsbefehl für Karsten Hinck stand, dass er sich am zweiten Mobilmachungstage beim Bezirkskommando in Stade zu stellen hatte. Auf der Geburtstagsfeier mit seinen Kameraden wurde schon von der Kriegserklärung gesprochen und beschlossen, am anderen Tage tüchtig Abschied zu feiern. Als am nächsten Tag der Gemeindevorsteher die Kriegserklärung bekannt gab, war dies Anlass für die jungen Leute zu einer lustigen Fahrt nach Oldendorf und Himmelpforten; einer spielte Harmonika, ein anderer Klarinette. Am nächsten Morgen nahmen sie Abschied von den Eltern, Verwandten und Bekannten. Ausgerüstet mit einem Lebensmittel-Paket mit Schinken und Mettwurst ging es nach Stade und von dort weiter zu ihrem Truppenteil nach Berlin.

Diedrich Grell feierte am Abend vor seiner Einberufung ebenfalls Abschied mit seinen Altersgenossen. Immer wieder schallte der gemeinsame Ruf "Hoch lebe der Kaiser" durch die Abendstille des Dorfes. Mit großer Begeisterung zog ein echter Vaterlandsverteidiger hinaus; er sollte gar bald das Opfer seines Heldenmutes werden. So wie er fuhren an jenen Mobilmachungstagen große Trupps Gestellungspflichtiger von Bossel und von den Nachbardörfern unter begeistertem Singen zur Bahn. "Zum Winter sehen wir uns wieder!" - so war immer wieder zu hören. Dieser Wunsch hat sich leider nicht erfüllt.

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Klaus Dankers (re.) mit zwei Kammeraden nach der Einkleidung bei ihrem Truppenteil

Der kleine Ort Bossel mit damals 120 Einwohnern, musste ein Zehntel seiner Bewohner zur Fahne schicken, wobei diese Zahl später noch einmal um die Hälfte erweitert wurde.

Am Buß- und Bettag 1914 folgten die Bewohner der Ortschaften in großer Zahl dem Aufruf ihres Kaisers, in die Kirchen zu gehen, zu beten und den Allmächtigen um Beistand zu bitten. Die Kirche in Oldendorf war hoffnungslos überfüllt, alle Gänge zu den Sitzreihen waren mit beigestellten Stühlen und Bänken versperrt, viele Leute standen oder saßen vor den offenen Kirchtüren. Die versammelte Gemeinde sang inbrünstig und stimmgewaltig das schöne Lutherlied "Ein feste Burg ist unser Gott".

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Pastor Utermöhlen hielt eine außergewöhnlich packende Kriegs- und Buß- predigt und rührte die Herzen seiner Zuhörer - manch Seufzer wurde getan und etliche Tränen geweint. Eine wirklich tiefe Andacht erfüllte die Herzen der Gemeinde. Das Gottvertrauen hatte gewonnen, und alle gingen gestärkt, aufgerichtet und getröstet heim.

Die Kirche St. Martin zu Oldendorf
um 1910

Die gemeinsame Not, die der Krieg mit sich brachte, festigte den Zusammenhalt der Einwohner von Bossel und steigerte ihre Bereitschaft zum Geben und Helfen. Der Frauenverein unter Leitung von "Frau Pastor" Utermöhlen aus Oldendorf fertigte verschiedene Bekleidungsstücke für die Soldaten. Der Kriegerverein sowie die Kegel- und Kartenclubs stifteten ihre Kassenbestände für den "Altar des Vaterlandes". Für das Stader Garnisons-Lazarett wurden Lebensmittel gespendet.
Gesammeltes Gold und Bargeld führte man der Reichsbank zu; sämtliche Kupfer- und Messingsachen brachte man zur Sammelstelle nach Oldendorf. Die Bauern mussten Roggen und Hafer an die Königliche Getreidekommission abliefern. Jeder Selbstversorger behielt nur 9 kg Brotkorn für eine Person im Monat.

Das Leben und Treiben hatte sich in den  Dörfern völlig verändert. Es unterblieben alle Lustbarkeiten, die Gastwirtschaften blieben fast leer und alkoholische Getränke - ausgenommen Bier - durften nur von 10 bis 19 Uhr ausgeschenkt werden.

Gasthof Grell um 1934

Vor allem aber mussten auch die aus Bossel eingezogenen Soldaten im Felde und an den Fronten ihren Mann stehen, oft große Entbehrungen hinnehmen und vielfach lebensbedrohliche Situationen überstehen.

Heinrich Grell (mit Gefechtsschreiber)
telefoniert per Feldtelefon aus dem
Schützengraben mit seiner Befehlsstelle

So zeugt der Militärpass von Hinrich Dankers davon, welche Gefechte dieser an der Ostfront vom August bis zum Oktober 1914 durchzustehen hatte: Schlacht bei Tannenberg, Schlacht an den Masurischen Seen, Schlacht bei Lyck, Gefechte bei Ossawiec, Grajewo und Wizajey.

Verteidigunsstellen an den Masurischen Seen während der September-Kämpfe 1914

Bild: Geschichte der Deutschen

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

In der Schlacht bei Tannenberg schlägt die deutsche 8. Armee an der Ostfront die zweite russische Armee vernichtend. Im nördlichen Abschnitt war die russische Njemen-Armee gegen die ostpreußische Grenze aufmarschiert; südlich der masurischen Seenkette hatte sich die russische Narew-Armee gesammelt.

Am 20. August kam es bei Gumbinnen zur Schlacht; bis zum 31. August 1914 wurde im Raum Hohenstein gekämpft. Die deutschen Truppen konnten trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit einen entscheidenden Erfolg erreichen.

Russische Truppen (Infanterie)
marschieren im Sommer
1914 an die Front

Foto: Wikipedia

Als das Landwehr-Regiment 76 am 26. August 1914 in Allenstein (Ostpreußen) eintraf, wurden die vom Bahnhof kommenden Soldaten sogleich beschossen. Allerdings nicht von feindlichen Einheiten, sondern von Soldaten des deutschen Landsturms. Diese hatten versehentlich die dem Regiment beigegebene Kavallerie (Reitertruppe) für Kosaken gehalten. Die Kavallerie hatte einen Toten und fünf Verwundete zu beklagen.

Nachdem das 3. Bataillon eine Nacht lang marschiert war, ging es sogleich ins Gefecht. Die Soldaten bekamen starkes Feuer von feindlicher Artillerie (großkalibrige Geschütze) und von beiden Seiten Sperrfeuer. Die Einheit stürmte vor, hatte sehr starke Verluste und bekam erst später Unterstützung durch die eigene Artillerie. Die 12. Kompanie wurde fast aufgerieben, ihr Hauptmann verwundet.

Nachts mussten die Soldaten unter freiem Himmel schlafen, und bereits morgens um fünf Uhr begann die Schlacht von neuem. Als sie durch einen Wald stürmten, schossen russische Soldaten von den Bäumen; "sie waren aber bald erledigt", allerdings erlitt der Major einen Schuss durch den Mund.

Abends auf dem Rückweg nach Hohenstein bekamen die Männer grausame Szenen zu sehen. Auf der Chaussee lagen tausende  russischer Soldaten tot oder verwundet; einigen fehlten Beine und Arme, manche wimmerten um den Gnadenschuss.

Im Oktober 1914 lag die 12. Kompanie von Hinrich Dankers auf einem großen Gut bei Dorschen, als sie plötzlich russisches Artilleriefeuer bekam und sich Hals über Kopf zurückziehen musste. Dabei verlor der Soldat Dankers den Anschluss an seine Einheit und traf zufällig seinen Bruder Diedrich mit mehreren Kameraden der 11. Kompanie, der er sich dann anschloss.

Er musste miterleben wie sein Bruder einen Schrapnellschuss (Spreng- geschoss mit Kugelfüllung) ins linke Unterbein erhielt und half ihm.

Hinter einem Hügel bekam Hinrich Dankers dann ebenfalls einen solchen Schrapnellschuss in den rechten Oberschenkel. Ein Spähtrupp nahm beide mit.

Sein Bruder starb nach 14 Tagen im Bromberger Lazarett an Wundfieber.
Bei ihm war der Knochen zersplittert, die Kugel war in drei Teile zersprungen. Ende November 1914 konnte er aus dem Lazarett entlassen werden.

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Nachdem es dem deutschen Heer am 4. September 1914 an der Westfront gelungen war, die Marne zu überschreiten, kam es zwei Tage später zu der für beide Seiten äußerst verlustreichen Marneschlacht.
Nach dieser Marneschlacht hatten die Armeen v. Kluck und v. Bülow befehlsgemäß zwei Stellungen dem Gegner überlassen, um sich aus der dritten zur Abwehr zu rüsten.

Rot Kreuz-Sanitäter
im Ersten Weltkrieg

Für Hinrich Horeis war der 20. September 1914 der schlimmste Tag im ganzen Kriege, wie er seiner Familie schilderte. Die Klucksche Armee war von der Marneschlacht zurückgekommen und ging in Richtung Noyon in Stellung. Als hier das Regiment bei Mailin fünf Tage in Stellung gelegen hatte, entschloss man sich zum Angriff, weil sich die Einheit wegen der starken feindlichen Umklammerung und des Artilleriefeuers nicht mehr halten konnte.
Die Soldaten gingen früh morgens vor; der starke Nebel verhinderte jede Sicht. Die Verbände gerieten in Unordnung. Die Franzosen waren in großer Übermacht, auf deutscher Seite gab es fürchterliche Verluste, viele seiner Kameraden kamen auf grausame Weise ums Leben.

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Hinrich Horeis (hintere Reihe, 3. von li.) mit seiner Einheit
vor den erbitterten Kämpfen

Im "Hamburger Fremdenblatt" erschien 1914 ein Artikel mit der Überschrift "Das Eiserne Kreuz", in dem ein aus Schleswig-Holstein stammender Soldat über die Situation der Kameraden im Felde berichtet und schildert, wie ein Gefreiter sich das Eiserne Kreuz zweiter Klasse verdient hatte. Hierbei handelte es sich um den Offizier-Stellvertreter Hinrich Breuer aus Bossel.

Soldat Hinrich Breuer
nach der Verleihung des
Eisernen Kreuzes

In dem Zeitungsartikel schildert der Soldat, dass sein Regiment seit etwa 18 Tagen in engster Fühlung mit dem Feinde ungeheure Anstrengungen und Leistungen vollbracht hat. Bei strömendem kalten Regen, im Lehmboden bis an die Knöchel stehend oder liegend mussten sie etwa acht Tage lang dem heftigsten Granat-, Schrapnell- und Gewehrfeuer standhalten. In ihrer mit der Division bezogenen Verteidigungsstellung hieß die Parole: Die Stellung muss bis auf den letzten Mann gehalten werden. Dies kostete viele Opfer, der entscheidende Angriff durch den Feind blieb aber aus.

Die Gegend, in der sie sich einmal befanden, war bereits vom Feind "ausgeplündert". Die Lebensmittel waren knapp, häufig mussten sie trockenes Brot essen. Man musste sich aber zu helfen wissen: wenn es ging, haben sie sich ein Schwein geschlachtet und Schmalz gebraten, ein "Hochgenuss" als Ersatz für die gute holsteinische Butter. Da es genügend Äpfel gab, kochte man auch Apfelmus. Alles in allem wurden die Soldaten aber durch ihre Feldküchen ausreichend versorgt, sonst wären sie nicht imstande gewesen, große Märsche und aufreibende Kampfhandlungen zu überstehen. Wenn die "Gulaschkanonen" zur Stelle waren und "abprotzten", kamen sie alle trotz größter Erschöpfung wieder auf die Beine.

Im Felde begegnete der Soldat aus Schleswig-Holstein jenen Gefreiten aus Bossel, der das Abzeichen des Eisernen Kreuzes im Knopfloch trug. Auf die Frage, wo er sich denn diese Auszeichnung verdient hätte, habe Hinrich Breuer geantwortet, dass er bei Mons einen Leutnant von der ... Kompanie aus dem Feuer geholt habe, als dieser verwundet war. Der verwundete Leutnant habe die Soldaten aufgefordert, ihn liegen zu lassen und weiter ihre Pflicht zu tun. Der Bataillons-Kommandeur hatte die mutige und selbstlose Rettungstat beobachtet und den Gefreiten sofort zu der großartigen Auszeichnung eingereicht.
Im Gespräch stellte sich dann heraus, dass es sich bei dem geretteten Leutnant um einen Freund des fragenden Soldaten handelte. Die beiden Kameraden verabschiedeten sich, wobei Breuer noch meinte, er hätte es doch wohl dafür eigentlich nicht verdient.

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

In einer anderen Gefechtsituation gingen die Soldaten von ihrem Unterstand in Stellung und bekamen Feuer von der rechten Flanke, wo die Österreicher zurückgedrängt und deren Stellung vom Feinde besetzt worden war. Sie sahen einen österreichischen Offizier auf sich zulaufen, verfolgt von zwei farbigen feindlichen Soldaten.
Auch hier rettete Breuer diesem Offizier das Leben, in dem er die verfolgenden Soldaten durch Schüsse aus seinem Revolver in die Flucht zwang. Der österreichische Offizier bedankte sich herzlich und teilte ihm später schriftlich mit, dass er die österreichische Tapferkeitsmedaille bekäme.

Hinrich Breuer (untere Reihe, Mitte), der sich
mit seiner Einheit durch Tapferkeit austeichnete.

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Einigen Familien im heimatlichen Bossel traf es wie der Schlag, wenn ein Brief von der Front eintraf und manch bange Ahnung zur Gewissheit werden sollte.

Einen solchen Brief aus dem Felde erhielt Katharina Breuer im Oktober 1918 von einem Leutnant, in dessen Kompanie der Offizier-Stellvertreter Hinrich Breuer Zugführer war. Er teilte ihr mit, dass ihr Mann aus einem der Großangriffe, den die Kompanie zu überstehen hatte, nicht zurückgekehrt sei. Was aus ihm geworden war, wusste man noch nicht. Man hoffte das Beste und versuchte der Ehefrau Trost und Hoffnung zu geben.
Die Zeit verging. Hinrich Breuer blieb vermisst. Schließlich traf die Nachricht seines Todes ein.
Später schildert der damaliger Bursche von Hinrich Breuer in einem sehr ergreifenden Brief, wie sein Vorgesetzter und väterlicher Freund in seinen Armen starb. Ein französischer Offizier erschoss ihn, obwohl er schon gefangen gewesen war.

Der Erste Weltkrieg war der erste Krieg, in dem Giftgas eingesetzt wurde; eine äußerst barbarische Variante dieser schrecklichen Massentötungen. Vornehmlich an der Westfront war es schnell zum Stellungskrieg ohne wesentliche Geländegewinne gekommen; beide Seiten hatten sich in ihren Schützengräben verschanzt.
Diese Situation erforderte aus militärstrategischer Sicht eine von oben einzusetzende Flächenwaffe. So entstand der Plan, statt Sprenggranaten giftige Chemikalien zu verschießen, obwohl der Einsatz von Gift nach der Haager Landkriegsordnung verboten war.

Nachdem die französische Armee bereits im Herbst 1914 in den Argonnen das Völkerrecht durch den überraschenden Einsatz von Flammenwerfern als Vernichtungswaffe gebrochen hatte, verwendeten die deutschen Truppen zunächst 1915 bei Ypern an der belgischen Westfront erstmals das Atemgift Chlorgas als Kampfstoff.

Alle ethischen Bedenken wurden zurückgestellt; viele Versuche mit verschiedenen Substanzen führten schließlich zu dem todbringenden Blasverfahren, nämlich Chlorgas - das schwerer als Luft ist und sich deshalb in Bodennähe konzentriert - aus Behältern in die feindlichen Schützengräben zu blasen.
Der Gaskrieg eskalierte stufenweise bis hin zum Einsatz von Senfgas ab 1917, einem Kontaktgift das zu schweren Verätzungen der Haut und schließlich zum Tode führte.
Die Kampfstoff-Granaten mit den Markierungen "Gelbkreuz", "Blaukreuz" (sog. Maskenbrecher) oder "Grünkreuz" hatten eine verheerende Wirkung: Atemnot und Hustenreiz steigerten sich zum Erstickungsanfall; der Tod trat bei nahezu vollem Bewusstsein ein.

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Heinrich Grell erzählte einmal der ältesten Tochter von seinen schrecklichen Erlebnissen. Im Juni 1918 unternahmen die Franzosen und Engländer einen großen Gas-Angriff. Tausende wurden im Schlaf vom Gas überrascht und starben einen entsetzlichen Tod.

Er selbst war in dieser Nacht als Sanitäts-Unteroffizier auf einem Bahnhof hinter der Front tätig. Hier wurden die Verwundeten und Gaskranken in Lazarettzüge verladen. Es war unmöglich, allen Verwundeten Unterkunft zu geben. Tausende lagen auf bloßer Erde unter freiem Himmel. Hinzu kam noch ein Angriff feindlicher Bombenflieger. Man hörte das Jammern und Stöhnen der Kranken, dazwischen die Einschläge der Bomben. - Es war entsetzlich!

Heinrich Grell musste als Sanitäts-Unteroffizier
den oft grausamen verletzten Kameraden helfen

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Obwohl sich der Krieg an der Westfront 1917 bis in den November hingezogen hatte, blieb der Frontverlauf nach Schaffung der "Siegfried"- Linie im wesentlichen unverändert. Die Truppen hatten sich im März planmäßig aus dem nach Frankreich hineinreichenden Frontbogen auf eine Linie Arras - St. Quentin - Laffaux zurückgezogen, um damit eine verkürzte Stellung zu erreichen. Diese Stellung wurde Siegfriedlinie genannt, da man sich von dort noch einen "Sieg-Frieden" erhoffte.

Foto: Wikipedia

Von Giftgas verletzte britische Soldaten
warten auf Behandlung

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Der 08. August 1918 wurde dann der "Schwarze Tag des deutschen Heeres". Die deutschen Truppen mussten an der Somme in der Panzerschlacht bei Amiens eine schwere Niederlage hinnehmen. Die deutsche Armee begann den Rückzug bis zur Siegfriedlinie, die sie im September erreichte.
Als ihre Rückwärtsbewegung zum Abschluss gekommen war, begann die angekündigte große Offensive der alliierten Streitkräfte, die den gegnerischen Verbänden den Endsieg bringen sollte.

Von der Westfront schilderte Bernhard Breuer seine Erlebnisse vom August 1918. Für den 9. August war ein deutscher Großangriff geplant, endgültig sollte der Feind besiegt werden. Leider kam es anders. Ein "deutscher Lump" hatte den Angriff verraten und die Franzosen wussten Bescheid. Sie setzten alles ein und griffen am 8. August völlig unerwartet an.
In der Nacht zuvor fiel vom Feinde kein Schuss. Die Soldaten wussten: Stille vor dem Sturm! Morgens dann gegen sechs Uhr setzte ein Trommelfeuer ein, das bis 12 Uhr mittags anhielt. Dann war wieder eine Stunde völlige Ruhe und so ging es weiter: Trommelfeuer - Ruhe - Trommelfeuer - Ruhe -Trommelfeuer.
Feindliche Flieger kreisten ganz niedrig über den Stellungen und schossen mit Maschinengewehren. Anfangs setzte sich die Einheit kräftig zur Wehr und vernichtete manchen französischen Tank (Panzer).

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Bild: Geschichte der Deutschen

Britische Tanks (Panzer) an der Westfront

Aber der Feind war übermächtig, es war unmöglich ihn aufzuhalten.
Die vier Geschütze der Batterie (Kompanie), sämtliche Offiziere, Unteroffiziere, und Kanoniere gerieten in feindliche, französische Gefangenschaft, wenn sie nicht tot waren. Nachmittags löste sich die Front auf.

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Straßen und Kreuzungen, wo alles zusammenströmte, waren verstopft. Jeder wollte so schnell wie möglich zurück. Niemand war auf diese Situation vorbereitet und auf den schnellen Rückzug gefasst gewesen. Alle hatten die Gefahr in Gefangenschaft zu geraten vor Augen und wollten dem entgehen. Erst in der Siegfriedstellung wurde wieder fester Fuß gefasst.

Der Herbst 1918 brachte am 09. November endlich den lang ersehnten Waffenstillstand.

Im gesamten Deutschen Reich leisteten im Verlaufe dieses Krieges
13,1 Millionen Mann Militärdienst; davon starben über zwei Millionen!

Aus dem kleinen Dorf Borstel kehrten folgende Soldaten in ihre Heimat zurück:
Heinrich Grell, Hermann Grell, Johann Meier, Hinrich Dankers, Johann Buck,
Hermann Horeis, Hinrich Horeis, Karsten Hinck, Peter Hagenah,
Hinrich Hellwege, Heinrich Philippsen und Bernhard Breuer.

Kriegsauszeichnungen hatte der Offizier-Stellvertreter Hinrich Breuer erhalten,
nämlich das Eiserne Kreuz II. und I. Klasse und das Goldene Militärverdienstkreuz.

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Kriegerdenkmal mit Kränzen. Im Hintergrund der Hof Wolper

Sechs Soldaten aus Bossel mussten im Ersten Weltkrieg ihre Leben lassen.
Dies waren:
Diedrich Grell (gefallen 09.09.1914), Hinrich Köhrmann (gef. 15.09.1914),
Hinrich Tiedemann (gef. 07.04.1916), Anton Stelling (gef. 28.12.1916),
Alfred Behnke (gef. 23.08.1917) und Hinrich Breuer (gef. 08.10.1918).
Bei den betroffenen Familien kehrte großes Leid und tiefe Trauer ein

Diesen gefallenen Soldaten setzte man 20 Jahre später ein Denkmal in der Mitte des Ortes.

  Bernhard Gooßen

Weiterführende Links:

Archiv zum 1. Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg Kriegsverlauf 1914-1918
Themenportal Erster Weltkrieg
WIKIPEDIA - Die freie Enzyklopädie
Zum Verlauf des Ersten Weltkrieges

Bossel erlebt den 2. Weltkrieg
Ein Beitrag gegen das Vergessen
und eine Mahnung für die Zukunft
von Bernhard Gooßen

Besucher seit 07.02.2020

 

nach oben

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Home Osteschifffahrt Kleinod der Osteregion Elbe-Weser Links Das Kloster Porta Coeli
Die Madonna von Bossel OsteGalerie Das alte Oldendorf St. Martins Kirche
Wracks der Oste Zeitzeugen Kanuparadies Oste Geschichtsspuren Annas Spuren Elke Loewe
Alter Handelsplatz Osten Schwebefähre Osten Hafenerinnerungen
Strom der Dichter Bossel in den Kriegen Erster Weltkrieg Zweiter Weltkrieg Zwergschule in Bossel

copyright 2005-2020 , OsteCronik.de