Die Oste, der stille Fluß

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07.02.2020

Der Fluß der großen Dichter
Von Renate Wendt

Von Peter Rühmkorf, der in Hemmoor-Warstade aufgewachsen ist,
bis zu Walter Kempowski, der in Nartum lebt - das 1700 Quadratkilometer große
Einzugsgebiet der Oste war und ist Heimat vieler Schriftsteller und Dichter.

Die Silvesternacht 1990 feierte der im heutigen Hemmoorer Stadtteil Warstade aufgewachsene

Schriftsteller Peter Rühmkorf (geb. 1929) bei seinem Freund, dem Journalisten Manfred Bissinger, in Neuland bei Großenwörden. Rühmkorf übernachtete im Ostener Hotel Fährkrug, unmittelbar neben dem stählernen Schwebefähren-Koloß. Über die unruhige Nacht am Fluß notierte der Dichter:

Fenster zur Oste raus -
scharfer Vollmond -
schneidig pfiffelnder Wind
über silbrig zitternden Wassern -
das Ächzen und Kreischen der
graustählernen Schwebefähre -
heimatlich ungemütlich und an
die Grundfesten meiner
niedersächsischen Neurosen rührend.

Für seine Gedichte, Stücke und Tagebuch-Texte
ist Peter Rühmkorf, aufgewachsen in Warstade,
mit nahezu allen deutschen Literaturpreisen
ausgezeichnet worden.

Nach tiefem Schlaf ("Imeson, Noctamid,
Adumbran und bis 10.30 durch") besuchte er
das Grab seiner Mutter, der Lehrerin
und Heimatdichterin Elisabeth Rühmkorf
(1895 - 1989), auf dem Friedhof von Warstade.

Peter Rühmkorf als Kind 1933
auf dem Alten Postweg in Warstade.
Das Bild entstammt dem vorzüglichen
Band "Wenn ich mal richtig ich sag..."
(Steidl-Verlag, Göttingen).

Peter Rühmkorf - geprägt durch Kindheit an der Oste

Kurz nach dem Ausflug an seinen Heimatfluß legte Rühmkorf letzte Hand an ein Gedicht,
in dessen Anfang überraschenderweise die Flüsse der Welt
im Zusammenhang mit der Oste vorkommen:

Das Werk Rühmkorfs, das nach
dessen Bekunden stark durch Kindheit
und Jugendjahre an der Oste geprägt
worden ist, weist eine große literarische
Bandbreite auf - von Gedichtbänden
und Theaterstücken bis hin zu seinen
Tagebüchern "Tabu I" und "Tabu II".

Früher, als wir die großen Ströme noch
mit eigenen Armen teilten,
Ob, Lena, Jenissei, Missouri,
Missisippi, Elbe, Oste,
und mit Gesang den Hang raufzogen
und mit Gesang auch wieder herab,
immer den Augen hinterher und Hyperions
leuchtenden Töchtern,
des Tages Anbruchs Röte
und des Mondes Aufzug Beginn -
Heute: drei Telefongespräche
und der Tag ist gelaufen…

Der Dichter, zunächst Lektor im Rowohlt-Verlag, publiziert in Zeitungen, im Hörfunk und
im Fernsehen und wurde mit bedeutenden Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter
dem Arno-Schmidt-Preis und dem Georg-Büchner-Preis. Seit Jahrzehnten lebt er
in Hamburg-Övelgönne, mit Blick auf die Elbe.

Literarischer Goldstaub aus der Zementstadt

Nicht allein Rühmkorf begründet den Ruf
Hemmoors als Stadt der Autoren. Obwohl
viele Menschen bei Hemmoor eher an
Zementstaub denken als an literarischen Goldstaub,
ist der Ort Heimat zweier weiterer großer Autoren -
die übrigens miteinander verwandt sind:
der Militärhistoriker und Lyriker
Alfred Vagts (1892 - 1986) und sein Neffe,
der Schriftsteller Peter Schütt (geb. 1939).

In seiner Hemmoorer Heimat fast vergessen:
der in die USA emigrierte, weltweit anerkannte
antimilitaristische Militärwissenschaftler Alfred Vagts,
der auch Gedichte und Texte über seine Kindheit
und Jugend an der Oste hinterlassen hat.

Vagts wurde 1892 als Sohn des Windmüllers in Basbeck geboren. In Otterndorf ging er zur Lateinschule, in Hannover macht er sein Abitur. Anschließend studierte er in München. Im Ersten Weltkrieg veröffentlichte er Gedichte gegen den Krieg ("Ritt in die Not"), in der Weimarer Republik arbeitete der Historiker an der Hamburger Universität, Schwerpunkt Auswärtige Politik.

Der Linke Vagts emigrierte 1933 in die USA, wo er später Deutsche Geschichte an der Harvard-Universität lehrte. Sein Hauptwerk "History of militarism" gilt bis heute als militärhistorisches Standardwerk. Bis kurz vor seinem Tod veröffentlichte er auch farbige Schilderungen seiner Kindheit und Jugend an der Oste.

Auch Vagts in Hamburg lebender Neffe
Peter Schütt, aufgewachsen ebenfalls in Basbeck,
beschäftigt sich immer wieder mit dem Osteland.
In Gedichten und Kurzgeschichten spielt der Fluß
ebenso wie die Schwebefähre zwischen Osten und
Hemmoor ("Gottes himmlische Galeere")
eine Dauerrolle, nicht zuletzt in seinen Veröffentlichungen
"Mein Niederelbebuch" und "Notlandung in Turkmenistan".

Der Hamburger Schriftsteller Peter Schütt,
aufgewachsen in Basbeck, behandelt
in seinen Texten immer wieder
das Osteland, unter anderem in
einem Gedicht, das mit den Zeilen beginnt:
"Die Frau, die mich liebkoste,
kam aus Osten an der Oste..."

Schütt wiederum rühmt den Hemmoorer Lehrer Heiko van Dieken (geb. 1929) als den
"Spiritus rector des Hemmoorer Literaturbetriebes". In seinen Büchern
"Marschbefehl und Krippenspiel", "Bombenkrieg und Kinderjahre"
und "Berührungen" erinnert sich unter anderem an seine Kindheit
und Jugend im und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.

Viele andere Autoren aus dem Osteland weisen zwar nicht
immer die thematische Bandbreite ihrer Hemmoorer Kollegen
auf, veröffentlichen aber Beachtliches auf speziellen
Gebieten. Sie  bedienen vor allem die drei Genres Krimi
und Thriller, Heimatgeschichte und Mundart.

Der Journalist und Schriftsteller Jürgen Petschull (geb. 1942),
der die Oste liebevoll eine "Wolga für Anfänger" nennt,
wurde zu seinem  Thriller "Der Herbst der Amateure"
von seiner Wahlheimat am Achthöfener Ostedeich inspiriert.

Mit einer Leiche, die in einem
Sportboot im Oste-Schilf strandet,
beginnt der Thriller "Der Herbst
der Amateure" des "Stern-" Reporters
Jürgen Petschull, der bei Osten lebt.

Auch der jüdische Friedhof in der Wingst und
das einstige Kriegsgefangenenlager in Sandbostel
zählen zu den Schauplätzen seiner Agentenstory
aus der Umbruchzeit um den Berliner Mauerfall.
Nahebei, in Geversdorf hinterm Ostedeich, lebt
Reinhold Friedl (geb. 1948). Der ehemalige
Uno-Mitarbeiter hat 2005 den Krimi
“Tödliches Tabu” veröffentlicht,
Tatort: die Untere Oste.

In Reinhold Friedls
"Tödliches Tabu"
stellt der Lokalreporter
Amandus Ahlf Ermittlungen
in Geversdorf, Oberndorf
und Neuhaus an.

Die in Drochtersen-Hüll wohnende
Autorin Elke Loewe (geb. 1941), die zunächst
als Verfasserin von Kinderliteratur ("Piggeldy")
und Fernsehdrehbüchern von sich reden machte,
wurde nicht zuletzt durch ihre historischen Romane
"Teufelsmoor" und "Sturmflut", "Simon, der Ziegler"
und "Der Salzhändler" bekannt. 2005
erhielt sie als "bedeutendste lebende
Schriftstellerin des Elbe-Weser-Dreiecks"
den  Literaturpreis "Der Goldene Hecht".

Neben historischen Romanen
wie "Sturmflut", "Der Salzhändler"
und "Teufelsmoor" schreibt Elke Loewe
Regionalkrimis, die an einem Fluß
namens Stinte spielen, der leicht
als Oste zu entschlüsseln ist.

Nebenher schreibt Elke Loewe, die das Drehbuch für den einzigen
plattdeutschen "Tatort" ("Watt Recht is, mutt Recht blieven") verfaßt hat,
Regionalkrimis, die an der Oste spielen, die sie im Roman  zur "Stinte" verfremdet.

"German crime-novel  route" am Rönndeich

Marsch und Moore an der Oste sind für Kriminalautoren so fruchtbar,
dass die Region in Presse, Funk und Fernsehen schon als "Krimiland" bezeichnet und
von der Deutschen Zentrale für Tourismus als "German crime-novel route" beworben wurde.
Die meisten Titel hat, großenteils wie Elke Loewe am Rönndeich in Hüll,
der Fernsehautor Volker Vogeler (gestorben 2005) verfaßt,
unter anderem für "Derrick" und "Der Alte".

Nahebei spielt der Krimi-Erstling
"Der Milchkontrolleur" des in
Drochtersen-Aschhorn ansässigen
Bio-Bauern Thomas B. Morgenstern
(geb. 1952), der zuvor vor allem
Kinderbücher veröffentlicht hat.

Regionalkrimis schreibt auch der
Rechtsanwalt Wilfired Eggers
aus Drochtersen".

Der Krimi-Erstling
"Der Milchkontrolleur"
des Aschhorner Biobauern
Thomas B. Morgenstern spielt im
flachen Land zwischen Elbe und Oste,
zwischen Moor und Meer.

An den Kriminalromanen des
Rechtsanwalts Wilfried Eggers
aus Drochtersen gefallen die
farbigen Milieuschlderungen
und die plattdeutschen Dialoge.

Eine bekannte Kinderbuchautorin und Illustratorin
lebt seit nunmehr über 35 Jahren in Lamstedt:
Die in Hamburg gebürtige Ursula Kirchberg (geb. 1938)
verfaßt vor allem Kinderbücher; ausgestellt wurden
ihre Werke sogar schon in Japan.

“In der Wingst”, unweit der Oste, lebt die heimatgeschichtlich versierte Lehrerin
Gisela Tiedemann-Wingst. In zahlreichen Veröffentlichungen zu Themen wie Fischerei,
Mühlen und Werften vermittelt sie detailreiches Bild der Vergangenheit an der Oste.
Zusammen mit dem Niederstricher Heimatforscher August Heinrich von Brook
gab Gisela Tiedemann-Wingst 2003 das Buch "Die Oste.
Lebensader zwischen Elbe und Weser" heraus.

In Bremervörde ist die zweite große Heimatforscherin der Region,
die Kreisarchivarin i. R. Dr. Elfriede Bachmann, beheimatet, die 2005
für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Heimatkunde und
Kulturpflege im Elbe-Weser-Dreieck mit dem Hermann-Allmers-Preis
ausgezeichnet wurde. Elfriede Bachmann hat zahlreiche Beiträge zur
Geschichte der Stadt und des ehemaligen Landkreises Bremervörde
sowie der Elbe-Weser-Region veröffentlicht.

Osteland, Heimat des Plattdeutschen

Ein Großteil der Schriftsteller im Osteland hat sich der plattdeutschen Sprache verschrieben -
von der Mündung bei Balje bis zur Quelle bei Tostedt, am Rande der Lüneburger Heide,
der Landschaft von Hermann Löns (1866 - 1914) und August und Friedrich Freudenthal.

Schon vor Hermann Löns beschrieb Friedrich Freudenthal (1849 - 1929) sowohl in platt-
als auch in hochdeutscher Lyrik und Prosa seine Heimat. Mit seinem jüngeren Bruder August
(1851 - 1898), der als Lehrer tätig war, gab er die Halbmonatszeitschrift "Niedersachsen" heraus.

Weiter flußabwärts, in Sittensen, schrieb der Kaufmann Wilhelm Seedorf (1925 - 2002)
plattdeutsche Geschichten und Gedichte. Viele Berufskollegen - so der Dorfschullehrer
Wilhelm  Nack aus Groß Meckelsen und der Lehrer Georg Brinke aus Rüspel - taten es ihm gleich.

In Zeven hat Hermann Tödter (geb.1933) zum Beispiel das Buch
"Wi schnackt leber Plattdütsch" geschrieben. Tödter, zugleich Naturfotograf,
veröffentlicht auch in der Heimatpresse und in Zeitschriften.

Durch mehr als achtzig plattdeutsche Hörspiele wie
durch Lustspiele ist Heinrich Behnken (1880 - 1960)
bekannt geworden, der zuletzt in Selsingen lebte und
mit dem Fritz-Reuter-Preis ausgezeichnet wurde. Er
hinterließ ein großartiges plattdeutsches Lebenswerk,
darunter fünfzehn Dramen, sagte aber
voller Bescheidenheit über sich selber:

"Wenn ik denn trüch kiek, dee war ik woll seggen:
Is woll nich all so, as'n dat wünschen müch;
aber beter kunn ik dat nich maken."
Die Schule in Selsingen wurde
nach Heinrich Behnken benannt.

Heinrich Behnken hat unter anderem mehr als
80 niederdeutsche Hörspiele und 15 Dramen verfaßt.
Nach ihm ist die Heinrich-Behnken-Schule in Selsingen benannt.

Regionale Bedeutung erlangten einige plattdeutsche Autoren von der Unteren Oste,
so Johann Rathje (1859 - 1928) und Heinrich Teut (1868 - 1963),
beide aus dem Hemmoorer Raum.

Lehrer Rathje hat platt- und hochdeutsche Lyrik hinterlassen, aber auch
ein Buch über den niederelbischen Obstbau. Der Warstader
Postamtmann Teut schrieb neben Fachbüchern für seine Branche
fünf plattdeutsche Lyrikbücher. Sein Hauptwerk ist der im Alter
von neunzig Jahren herausgegebene vierbändige
"Niederdeutsche Wortschatz des Landes Hadeln".

Hilfe in der Not leistete der Postbeamte Teut
seinem niederdeutschen Dichterkollegen
Hermann Boßdorf (1877-1921).
Als Boßdorf, Autor unter anderem der
durch Basbeck inspirierten Mordgeschichte
"De Fährkrog", schwer erkrankte, verhalf
Teut ihm zu einer Anstellung bei der Post.

Die Büste von Hermann Boßdorf
im Hemmoorer Heimatmuseum
erinnert an den Autor vieler
plattdeutscher Theaterstücke,
die unter anderem im Hamburger
Ohnsorg-Theater bejubelt wurden.

Zu den zeitgenössischen niederdeutschen Autoren zählt vor allem der in Alfstedt lebende
und in Hemmoor lehrende Pädagoge Hans-Hinrich Kahrs (geb. 1956).
Der Plattdeutsch-Beauftragte des Landschaftsverbandes Stade
verfasste neben Hörspielen auch Theaterstücke, Sketche
und Kurzgeschichten und gab ein "Plattdüütsch Lesbook"
mit dem Titel "Ik bün all hier" mit heraus.

In Kempowskis Werk scheint die Oste durch

Unter den hochdeutschen Autoren im Einzugsbereich
der Oberen Oste ist - neben der Zevener Lyrikerin
Anne-Lotte Jungbluth (geb.1919) - vor allem das
literarische Schwergewicht Walter Kempowski (geb.1929)
zu nennen. In seinen im "Haus Kreienhoop" in Nartum
verfaßten Büchern scheint immer wieder auch das Land
an der Oste durch, vor allem in seinem autobiografisch
angehauchten Roman "Heile Welt".

Vor allem in Walter Kempowskis
Roman "Heile Welt" schimmert
immer wieder der Einfluß des
Landes an Oste und Wümme durch.

Kempowski, selber einst Dorfschullehrer in Nartum, beschreibt darin,
wie sich ein frisch bestallter Junglehrer die Schüler vorstellt, die er zu unterrichten hat:
"Höhlenkinder im heimlichen Grund… Kräuter suchen und Pilze, und morgens
kommen die Kinder in die Klasse, einfache, natürliche Menschenkinder, und
man setzt sich zu ihnen und sagt ihnen, wie's in der Welt zugeht."

"Der Fluß der großen Dichter" - mit
den Porträts von Walter Kompowski
und Peter Rühmkorf weist die
Arbeitsgemeinschaft Osteland e.V.
auf eine literarische Exkursion
entlang der Oste hin.

Dem Land am Fluß vermochte
der Junglehrer nicht allzu viel abzugewinnen:
“Außer Heide, Moor und Wälder hatte
die Gegend ... nichts zu bieten...”

Der Dichter selber wohnt in diesem Land nunmehr schon seit fünf Jahrzehnten,
und nichts vermochte ihn fortzulocken.

Renate Wendt, Jahrgang 1959,
Diplom-Bibliothekarin und
Diplom-Geografin. Sie lebt
in Hamburg und Osten/Oste
und ist Mitglied im Arbeitskreis
Kultur/Natur der AG Osteland e.V.

Dem Rönndeich zwischen Osten und Drochtersen-Hüll ist
eine Website gewidmet, die unter der Adresse
deutsche-krimistrasse.de
nicht etwa eine "echte" Ferienstraße propagiert, sondern darauf hinweist,
dass hier mehr Krimis und Krimi-Drehbücher als an irgendeiner
anderen deutschen Straße verfaßt worden sind.

 

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